Tag 1: Warum mache ich das?

Manches hab ich einfach nicht durchdacht. Zum Beispiel die Tatsache, dass man jedesmal wenn man etwas zum Bus trägt, neuen Dreck in den Bus hinein trägt. Jedes verdammt Mal laufe ich über den matschigen Grünstreifen. Die ersten Male ziehe ich die Stiefel noch aus. Aber meine Hände sind voller Gepäck, Bettdecken, Essen, Kleidung und während ich umständlich versuche den einen Stiefel abzustreifen, trete ich mehrmals mit der Socke in den Matsch und finde das mindestens genauso unpraktisch. Danach trage ich den Dreck einfach wieder rein in den Bus. Ich sehe es und bin wütend auf mich selbst.

Die Bettdecken kriege ich mit der einen freien Hand nichts aufs Hochbett, sie fallen mir wieder entgegen und reißen eine Flasche Balsamico um. Es tropft auf den ungefähr einen halben Quadratmeter großen Küchenfußboden. Ich versuche es wegzuwischen, aber ich stosse überall gegen. Die zweite Decke fällt noch oben drauf.

Drinnen höre ich die Kinder schreien. Ich laufe zwischen Bus und Wohnung hin und her. Ich fahre ja nur eine Nacht, lache ich mich selber aus. Mein Gott, selbst Schuld, dass du alles reinschleppst. Aber ich brauche sie ja, die Regenhosen, Schneeanzüge, Mützen, Ersatzhosen, Gummistiefel. Habe ich mal gesagt, der Bus hätte genügend Stauraum, dann war das ganz sicher auf Sommermonate ausgelegt. Im Winter habe ich eigentlich gar keinen Platz! Nur genug Platz um sich Knie, Kopf und Schienbein zu stossen – der bleibt.

Wegen der Vogelgrippe ist in Hamburg Leinenpflicht. Das wirkt sich wie folgt aus: a) Hunde gehen an der Leine und b) Hunde nehmen aus Frust die ganze Wohnung auseinander. Ich habe zwei kleine Kinder, aber ich habe noch nie so oft „Nein!“ geschrien wie in den letzten beiden Wochen mit dem Hund. Er springt aufs Bett und auf die Sofas, er zerfrisst Kissen, Stuhlbeine, Kuscheltiere. Er bellt ohne Grund. Er versucht ständig den Kindern was-auch-immer aus der Hand zu reißen. Er rennt herum. Er bellt wieder. Er frisst in einem unbeaufsichtigten Moment die Adventskalender. Die Kinder schreien. Emil weint. Ich packe. Yippieh.

Ich trage einen Korb mit Essen zum Bus, die Hälfte fällt runter. War ja klar. Noch mal Dreck reintreten, hinter mir schreien die Kinder „Pius! Nein! Aus, Pius, Aus!!“ Zurück in die Wohnung, der Hund zerbeisst irgendwas – hier kann man einen ganz beliebigen Gegenstand einsetzen.

Ich muss jetzt erst mal raus. Sonst drehe ich durch. Die Kinder spielen aber noch halb nackt in Emils Zimmer. „Wir wollen nicht raus,“ sagen sie pragmatisch. Verstehen kann ich es. Ich lasse ihnen das Telefon da und rufe mich selbst an. „Und nicht toben!“ sage ich.

Ich gehe mit Pius um den Block und höre durchs Telefon abwechselnd Emil und Ida „Wir toben gerade nicht!“ in den Hörer kichern. Am Bäcker hole ich Brötchen und binde Pius nur ganz kurz draussen am Stuhl an. Gut, ist nur ein Stuhl. Hätte man wissen müssen. Eine Taube und Pius und der Stuhl ziehen ein paar Meter den Gehweg lang. Man bin ich genervt. Ich stelle den Stuhl zurück, die Leine fällt in eine Pfütze, na, wenigstens nicht die Brötchen.

Zuhause sieht es scheiße aus. Ist einfach so. Manche zaubern Weihnachtsdeko, wir zaubern Chaos. Egal wo man hingeht, es sieht schrecklich aus. Finde ich. Ich könnte heulen, mache ich aber nicht. Würde den Tag ja auch nicht besser machen. Die frische Luft hat dem Hund wirklich gut getan – er hat jetzt noch mehr Energie als vorher. Die Hand der einen Puppe hat er schon abgebissen, jetzt reißt er Ida die nächste aus der Hand. Ja, der Hund nervt mich gewaltig, aber dieser schrille Schreiton von Ida nervt mich leider auch. Ich schreie den Hund an, Ida heult, Emil läuft neben mir her und erzählt mir, was er gleich im Kliemannsland alles machen will und fragt zum hundertsten Mal was da für Wetter sei. „Man,“ sage ich unwirrsch. „Das ist kein Land, Emil. Da ist das Wetter genau wie hier!“ Er tut mir leid. Ich finde mich selber gerade ätzend. „Müssen wir auch keine Pässe mitnehmen?“ erkundigt er sich kleinlaut. „Nein,“ sage ich und muss doch kurz schmunzeln.

Das Telefon klingelt. Ich nehme einen Fotoauftrag für den Folgetag an. Man, bin ich naiv. Immer schön zusagen, obwohl man gefühlt ja jetzt schon weiß, dass das mega stressig wird. Und ach, ich hab ja noch gar keine Winterreifen! Kurzer Blick aufs Wetter – das passt. 5 Grad Plus. Kein Problem. (Schlau ist es übrigens, wenn man auch den Folgetag noch mal anguckt….)

Die Kinder reden selbstverständlich dazwischen, während ich telefoniere. Manchmal schreien sie aber auch schrill „Pius! Aus, Pius, aus!!“ Ich verstehe nur die Hälfte und nehme Pius das zweite Kleidungsstück aus dem Maul, das er innerhalb von zehn Minuten zerbissen hat. Ich schmeisse es sehr, sehr wütend in den Müll!

Draussen meckert mich postwendend jemand an, weil das Kabel, mit dem ich gerade den Bus auflade, ja auch als Stolperfalle diene. Das Kabel, muss man dazu sagen, liegt flach auf dem Gehweg. Also wer darüber stolpert, der… na ja, ist ja auch egal. Ich gehe einfach noch mal in den Bus um mir ein paar mal den Kopf zu stossen. Dann wird es doch gleich besser… NICHT.

Es wäre so schön gewesen hätten die Menschen vor und hinter mir doch jeweils zwanzig Zentimeter Platz zum ausparken gelassen. Muss aber auch nicht. Dann rangiere ich eben ein- bis zweihundert Mal. Erst mal den Hund rein lassen. Den hätte ich im übrigen direkt an seinem Platz anbinden sollen. Jetzt rennt er durch den Bus und reißt Kuscheltiere und eine Packung Salzstangen vom Tisch. Was soll es? So ein paar Salzstangen auf dem Boden haben doch noch keinem geschadet und es knistert auch so schön, als kurz danach die Kinder darüber rennen. Augen? Habt ihr nicht, oder?

„ Das ich nicht mal ein mal in Ruhe telefonieren kann!“ sage ich also, denn irgendwo muss sie ja hin meine Wut. „Vielleicht muss ich ja auch mal arbeiten?“

Emil zuckt mit den Schultern.

„Papa arbeitet den ganzen Tag und wird nicht einmal gestört und ich kann nicht mal telefonieren!“

Oh man, was für eine Logik! Applaus.

„ Papas Arbeit ist ja auch viel wichtiger als deine,“ antwortet Emil pragmatisch. Hatte ich drinnen nicht noch was vergessen? Ach ja, genau, ich wollte ganz kurz noch ins Bad und heulen.