Der „ein bisschen“ dumme Hund

Die Sonne weckt uns. Und Little T. Die Nacht war ziemlich zäh, er hat viel geweint, gewühlt, unruhig geschlafen. Kann sein, dass das an der Reise liegt. Zuhause schläft er aber auch so. Die Großen haben versucht sich die Kissen über die Ohren zu ziehen – es hat nicht so viel genützt. Sie haben trotzdem gute Laune.

Es ist kurz nach sechs, ich wiederhole mich, wenn ich betone, Kaffee wäre jetzt schön. Der Hund muß aber raus. Keiner – außer dem Hund – hat Lust. Alle anziehen, wickeln, Jacken, Buggy – ein bisschen schlechte Laune aushalten.

Danach gehen wir ins Schwimmbad – neuer Versuch. Little T weint schon, als wir die Umkleide betreten. Er findet es wirklich furchtbar. Schwimmwindel spar ich mir – er wird sich eh nicht ins Wasser trauen. Ausgerechnet Little T, der Wasser liebt! Selbst wenn ich dusche, sitzt er manchmal zu meinen Füßen, ungeachtet dessen, dass es ihm in Strömen auf den kleinen Kopf tropft. Zum Glück sind wir fast alleine, bis auf ein älteres Pärchen, das seine Bahnen zieht.

Beim Frühstück bringen die Kinder mir Capuccino und frischen Orangensanft an den Tisch. Ich habe sie nie darum gebeten.

Wir planen den Tag, Little T frühstückt Oliven. Ich frage mich, ob man ausschließlich von Oliven überleben kann?

Danach ziehen sie in den Indoorspieplatz, ich trinke in Ruhe meinen Kaffee aus. Ist das verantwortungslos? Kann ich einer Achtjährigen und einem Zehnjährigen die Verantwortung für ein Kleinkind übergeben? Wahrscheinlich nicht. Wäre ich nicht ich, würde ich sagen, dass geht nicht. Aber wir haben eine gewisse Kapazität an Ressourcen. Mit denen wir haushalten. Auch jetzt, nach zwei Jahren Corona, Homeschooling, Krankheit, Quarantäne, Lockdown. Wir müssen alle Kooperationsleistungen bringen.  Zwanzig Minuten Kaffee alleine reichen mir, um wenig Schlaf und viel Verantwortung wegzustecken. Als ich zum Indoorspieplatz komme, krabbelt Little T hinter den Großen durch einen Parcours. Er lacht immer. Er ist das glücklichste Kind, das sich kenne. Little T liebt das Leben, jede Sekunde, jeden Stein, jeden Stock, jedes Tier, jeden Plastikball.

Brandenburg ist bezaubernd. So still und einsam. Wir fahren an den erstbesten See, der auf unserem Navi erscheint. Die Sonne scheint, wir brauchen keine Jacken, Little T schläft im Bus, wir sitzen auf dem Steg, werfen Steine in das spiegelglatte Wasser. Der Wind weht Frühlingsbrisen durch das gelbe Schilf, ein Ast sieht aus wie ein heranschwimmendes Krokodil. Noch nie haben die Kinder gefragt, was sie in der Natur machen sollen. Ich öffne die Tür vom Bus und sie sind weg. Der Hund rennt über den Steg und zurück in das kleine Waldstück, er ist glücklich von der weißen Schnauze bis in die schwarzen, nassen Pfoten. Völlig außer sich vor Begeisterung springt er in einem großen Satz vom Steg, das Wasser spritzt zu allen Seiten. Und jetzt?

„Schwimm um den Steg rum!“, rufen die Kinder, winken und schreien. Pius gerät in Panik. Versucht noch und noch mal durch das dicke gelbe Schilf an Land zu kommen. Er verfängt sich, prustet, ich glaube er ertrinkt. Ida schreit schrill seinen Namen. Er zappelt und japst.

„Schwimm um den Steg!“, schreit Emil noch mal. Verdammt, er macht das nicht. Ich rufe seinen Namen, er schafft es sich aus dem Schilf zu befreien und schwimmt panisch auf den Steg zu. Tschüss, gemütlicher Nachmittag am See. Ich hänge mich über den Rand und versuche ihn hochzuziehen. Bis zu den Schultern stecke ich im Wasser. Er zappelt und windet sich. Idiot, denke ich, jetzt laß dir doch helfen. Am Ende packe ich ihn am Halsband. Fühlt sich bestimmt scheiße an, aber besser als ertrinken. Ich ziehe ihn mit Müh und Not auf den Steg hoch. Ich bin klitschnaß. Er auch. Er schüttelt sich, wedelt kurz und springt auf der anderen Seite des Stegs wieder ins Wasser.

Ich zweifele manchmal wirklich an seiner Intelligenz.

Am Nachmittag traut Little T sich nach einer Stunde Desensibilisierung ins Babybecken. Ob es ihm wirklich Spaß macht, weiß ich nicht. Aber Kaffee wäre jetzt schön, denke ich. Krieg aber keinen. Emil und Ida spielen mit Little T im Wasser. Ich freue mich aufs Abendessen. Bisher hatte ich keine Minute mehr für mich. Aber das macht nichts.

Als am Abend alle in den gemütlichen Betten liegen, Little T ganz leise vor sich hin schnarcht, weiß ich, dass ich noch eine Aufgabe zu erledigen habe. 21:30 Uhr, draußen ist es stockfinster, im Bett ist es kuschelig warm – der Hund muss noch mal raus.

Ich ziehe meine Jacke über, die Mütze, den Schal. Ich drehe mich noch mal um. Vergewissere mich dass Little T schläft. Dann geh ich los.

Ich hasse diesen letzten Spaziergang. Ich weiß, wenn ich das jetzt nicht mache, weckt der Hund mich in der Nacht. Dann müsste ich nachts raus, wenn alle tief und fest schlafen. Dann könnte ich nicht Bescheid sagen wo ich bin. Also ziehe ich los.

Mein Handy habe ich in der Tasche, draußen empfängt mich völlige Finsternis. es raschelt im Wald, der Hund läuft und läuft und macht nirgendwo hin. Verdammt. Ich gehe einen anderen Weg runter zum Wasser. Die Kinder sind jetzt schon zwanzig Minuten allein. Mir ist eiskalt. Der Hund hat etwas im Wald gewittert, sein ganzer Körper zittert. Ich möchte ins Bett.

Ich könnte heulen. Jetzt klingt es alles so harmlos, aber ich hasse diesen letzten Spaziergang. Ich hasse dieses Gefühl, die Kinder abends alleine zu lassen. Nicht zehn Minuten, nicht zwanzig. Am Ende komme ich erst nach vierzig Minuten zurück. Little T ist grade aus einem Traum aufgewacht, Ida wiegt ihn im Schlaf, aber er weint. Ich krieche zu ihnen ins Bett. Und mir graust jetzt schon vor dem nächsten Abend.

Alleine mit drei Kindern und Hund reisen klappt auf jeden Fall, aber es sind auch viele Bedürfnisse zu erfüllen. Und meine sind leider oft nicht dabei.

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