Glück bringt kein Geld, oder wie schön es wäre, endlich einen Platz in der Gesellschaft zu finden

Wie Seifenblasen fliegen ihre Gedanken durch den Raum. So schillernd und bunt. Jedes Kind hat Angst, dass sie zerplatzen, bevor ich sie gesehen, gehört, bestaunt habe. Sie laufen um mich herum, ziehen an meinem Ärmel, sie lachen und ihre Stimmen überschlagen sich. Ihre kleinen Köpfe sind voller Ideen. Und ich glaube, sie sind selbst überrascht, was da zu Tage kommt. Sie hocken auf Knien auf ihren kleinen Stühlen, stecken die Köpfe zusammen, tauschen sich aus. Wenn die Lautstärke überhand nimmt, rufe ich sie zurück. Ihre aufmerksamen Gesichter wenden sich mir zu.

Ich bin eine Trainerin der Gedanken. Ich versuche sie alle aufzufangen. Vor allem versuche ich sie alle wertzuschätzen. Weil sie selbst nicht glauben können, was sie grade machen. Sie entwickeln eine Geschichte, die toller ist als alles was sie je gelesen haben. Sie ist toller, als alles was ich je gelesen habe.

Von Termin zu Termin wird die Gruppe größer. Sie sprudeln über vor Freude, erzählen es in ihren Klassen, gewinnen neue Ideen. Sie tragen ihre Notizhefte wie Schätze mit sich herum. Zeichnen, schreiben, skizzieren.

Wenn ich aus der Schule trete schwirrt mein Kopf. Ich habe getippt so schnell ich konnte, Notizen über Notizen. Wenn meine eigenen Kinder schlafen versuche ich zusammenzufügen was zusammen gehört. Schreibe Stunde um Stunde die Geschichte aus ihren Köpfen auf. Von Drachen und dem Vollmondkönig, den schwarzen Rittern und der geheimen „Kugel der Heimat“, von Zauberertöchtern und für immer verfeindeten Königsfamilien. Aber am nächsten Tag stehen da die nächsten Kinder. Sie rufen genauso so enthusiastisch. Sie sind manchmal laut und manchmal nervig, ihre Ideen sind hin und wieder absurd, machen keinen Sinn oder zu kompliziert. Aber ich liebe sie alle. Jedes einzelne Kind. Jede einzelne Idee.

Die Kinder rennen die Treppen runter, plappernd und rufend und ihre Münder stehen nie still. Wenn ich sie auf der Straße treffe, sprudeln neue Ideen aus ihnen heraus. Sie reden von Erpressung und Drohbriefen, Klassenfahrten auf einsame Inseln, einem Schiffsunglück, die Nachricht eines Unbekannten, der Beginn einer unerwarteten Freundschaft.

Zuhause setze ich mich hin und schreibe. Stunde um Stunde um Stunde. Ich blättere durch meine Notizen, versuche mir Charaktere zu merken, ihnen ein Gesicht zu geben. Vier Gruppen schreiben gerade parallel an vier Büchern. Meine Finger tippen schnell, aber nie schnell genug. Seite um Seite um Seite.

Ich versuche mich zu organisieren, schreibe auf, wann ich für welche Geschichte schreibe. Ich komme auf über dreissig Wochenstunden. Mehr als dreißig Stunden, die ich mit dem verbringe, was mich glücklich macht. Dem, was die Kinder glücklich macht.

Die Eltern schreiben mir, wie begeistert die Kinder sind. Ich schreibe zurück, dass ICH es bin, die begeistert ist.

Im Sommer werden sie ihr Buch in den Händen halten. Voller Abenteuer, voller unvorhersehbarer Wendungen, ihre Bücher von Freundschaft und Zusammenhalt, von Feinden die zu Freunden wurde. Von einsamen Inseln und verrückten Klassenfahrten, vom Pony Schniep, das in ein Schimmbad fiel. Unser erstes Buch von und für Erstlklässler, dass wir auf deutsch und türkisch schreiben.

Knapp dreißig Kinder werden bis zum Sommer noch ihre Ideen sammeln. Ihre Bilder zeichnen. Ihre Fantasie zum übersprudeln bringen.

Was ich mache, macht mich glücklich. Aber vor allem macht es Kinder glücklich.

Ich rechne nicht auf. Ich habe schon andere Jobs gemacht, die geregelter waren. Die feste Einnahmen hatten. Die Art von Jobs, wo die Menschen nicken und sagen: Ach das. Aha. Kenn ich.

Das was ich mache ist keine Arbeit. Es ist ein Hobby ein Spaßvertreibe, etwas Ehrenamtliches? Die Gesellschaft zieht folgenden Schluss: Sie verdient damit nicht wirklich etwas. Es kann also keine Arbeit sein. Sie macht das, weil es ihr Spaß macht.

Paul macht seine Arbeit auch weil sie ihm Spaß macht. Er verdient damit Geld. Er hat dafür auch sehr lange studiert. Ach nee, das hab ich ja auch. Aber er geht jeden Tag verlässlich in die Klinik. Die Gesellschaft hat ihn nicht nur anerkannt, sie gibt ihm einen Platz. Einen wichtigen. Einen angemessenen Platz. Ich bewundere Paul zutiefst. Und ich möchte nicht mit ihm tauschen. Aber einen Platz hätte ich trotzdem gerne.

Abends sitze ich alleine am Schreibtisch und schreibe an meinem eigenen Buch. Aber ist es ein Buch, wenn man keinen Verlag hat? Ich hatte mal ein Seminar in der Uni, da war genau das die Frage: Ist man auch Schriftstseller, wenn man nie etwas veröffentlicht? Ich erinnere mich leider nicht mehr an die Antwort.

Die Behörden finden, was ich mache ist keine Arbeit. Es ist bestimmt nett, gut gemeint, aber mein Steuererklärung sagt etwas anderes. Zu wenig Einnahmen. Ich kann unmöglich „wirklich“ selbständig sein. Den Kita Gutschein für mehr Stunden bewilligen sie nicht. Die Kurse wären ja alle am Nachmittag. Vormittags würde ich ja gar nicht richtig arbeiten. Warum brauche ich dann mehr Stunden? Aber das bedeutet auch, ich muss little T vor 15 Uhr abholen. Die Kurse gehen bis 16:00 Uhr. Ich könnte eine Babysitterin bezahlen, die ihn dann holt. Dann würde ich gar keine Einnahmen mehr haben, sondern ein Minus Geschäft machen. 30 Stunden Arbeit, 4 publizierte Bücher, dreissig glückliche, stolze Kinder. Kein einziger Euro, der über bleibt.

Wofür ich das mache? Für mich und für die Kinder.

Wen das interessiert? Mich und die Kinder.

Ich habe eine Freundin die ist Künstlerin. Sie sagt, du bist so lange Künstlerin, bis die anderen merken, dass du Kinder hast. Dann bist du nur noch die Mutter die malt.

Vielleicht bleibe ich immer die Mutter die schreibt. Und an manchen tagen freue ich mich darüber, furchtbar schrecklich doll, weil es mich so glücklich macht.

Und an anderen tagen, wie heute, denke ich darüber nach vielleicht doch die Mutter zu werden, die Lehrerin ist. Oder Physiotherapeutin. Oder Ärztin. Denn die hat irgendwo einen Platz in dieser Welt. Einen Platz den ich mir so sehr wünsche.

Ihr könnt das Projekt unterstützen, in dem ihr die Bücher kauft. Und verschenkt. Und weiterempfehlt. Es würde das Projekt am Leben erhalten.

https://www.miriamburdelski.com/

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