Hätte, könnte, würde…

Marta ist erstaunlich unerschütterlich. Sie geht zur Schule, wenn es geht, sie arbeitet sich durch den Lockdown, sie schreibt, malt und tanzt. Die Welt vor ihrem Fenster scheint oft stillzustehen. Zwei mal geht Marta für 14 Tage in Quarantäne, sieht ihre Freundinnen und den blauen Himmel nicht, fragt sich oft, was die Welt ihr damit sagen will und bestreitet dennoch jeden Tag auf ihre Marta-Art – verträumt aber glücklich.

Martas Eltern wollen gerne alles richtig machen, aber sie finden keine Anleitung dafür. Sollen sie Marta mehr Aufgaben geben? Sie mehr fördern in einer Zeit, in der jeder Homeschooling Tag länger wird, sich zieht, Einsamkeit präsent macht? Oder die Nachmittage nutzen, an die Elbe fahren, Steine suchen, dem Wind trotzen und sich kurz nicht eingesperrt fühlen – oder eher ausgesperrt, von all dem was früher um Marta herum war. In den Zoom Konferenzen präsentieren die Kinder was sie zuhause erarbeitet haben. Auquarellbilder gemalt, eigene seitenlange Geschichten geschrieben, Englische Theaterstücke ausgedacht. Marta hat ihre Hausaufgaben erledigt, ein bisschen Rechtschreiben im Zebra Heft, ein bisschen Mathe, danach hat sie gemalt. Nach den Zoom Konferenzen ist sie manchmal still. Die anderen haben so viel geschafft. Und sie? Nur das, was man machen sollte. Das reicht nicht, wenn man die Möglichkeit hat sich von Bildschirm zu Bildschirm zu vergleichen.

Martas Eltern wollen gerne alles richtig machen, aber sie finden keine Anleitung dafür.

Im Lernentwicklungsgespräch wird den Eltern geraten, Marta zurückstellen zu lassen. Möglichst bald. Eigentlich sofort. Sie käme nicht mehr mit, hätte außerdem den Verdacht auf Dyskalkulie. Institute wie das Werner-Otto-Institut werden als Hilfe vorgeschlagen. Martas Eltern sind verwirrt. Das Werner-Otto-Institut ist für lern- und entwicklungsverzögerte Kinder. Aber Marta kann ganze Bücher lesen. Und ihre Englisch Vokabeln herunter beten.

Die Kinderärztin ist entsetzt: Marta sei alles andere als entwicklungsverzögert. Sie findet die Aussage eine Frechheit. Die Schulen, konstatiert sie, wissen längst nicht mehr wo ihre Grenzen sind. Sie wollen immer mehr, immer schneller, immer höher hinaus. Das Ziel der Grundschule: So viele Gymnasiasten wie möglich zu züchten. In Martas Klasse konnten mehr als zehn Kinder zur Einschulung bereits lesen und schreiben. Die Kluft, die Lehrer schließen müssen, wird immer größer. Wer nicht mithalten kann geht unter. Oder eben eine Klasse zurück – wie Marta?

Martas Eltern sind beide Akademiker, sie passen ins Viertel, wie alle hier – nur ihre Ziele scheinen andere zu sein. Sie wünschen sich glückliche Kinder, keine angepassten. Fleiß und Strebsamkeit passen nicht in diese Welt voller Burnout-Erwachsener. Ist es nicht längst an der Zeit kreative Kinder zu fördern? Kinder, die empathisch sind, die ihre Grenzen kennen, die flexibel denken und nicht nur nachplappern, was ihnen die Burnout-Generation vorsagt?

Ja, klar, sagen die Akademiker Eltern. Aber hinter geschlossenen Türen lassen sie doch noch den ein oder anderen Aufsatz schreiben, melden die Kinder bei Kunst und Mathe Workshops an und verstecken alles gut unter dem Mantel der Freiwilligkeit: Sie hatte einfach Lust auf Mathe Workshop!

Marta ist fern jeder Lust auf Mathe Workshops. Es lebt ihr auch gewiss niemand vor – Martas Eltern würden auch nie freiwillig einen Mathe Workshop oder ein Statistik Seminar belegen – der Unterschied ist nur, dass sie frei entscheiden dürfen. Die Kinder meistens nicht.

Die Schulleitung lehnt den Antrag auf Zurückstellung ab. Es sei nur möglich, wenn Martas Eltern in einem Schreiben ausführlich darauf eingehen würden, warum Marta psychisch und mental der zweiten Klasse nicht gewachsen sei. Ein paar Wörter zu ihrem Sozialverhalten etc. Martas Eltern lehnen dankend ab.

Nur ein paar Worte dazu, warum Marta psychisch und mental der zweiten Klasse nicht gewachsen sei. Vielleicht, weil sie auf Grund verzögerter Entwicklung mit ihren Mitschülern keine Basis findet, oder etwas ähnliches…

Martas Eltern informieren sich was es für Alternativen gibt. Privatschulen? Waldorfschulen? Sie suchen einen Ausweg aus einem System, das sie anfangs für absolut tragbar gehalten haben. Aber wer ausbricht aus dem System trifft auf die Systemkritiker der anderen Seite. Finstere Waldorferfahrungen überschneiden sich mit glücklichster Kindheit an derselben Schule. Aber wem glauben?

Sie melden Marta an der nächstgelegenen Waldorfschule an. Nachbarskinder sind dort sehr glücklich. Marta könnte bis zur 13 Klasse dort bleiben. Marta findet den Gedanken schön, auch wenn ihre Freundinnen ihr fehlen würden. Aber die Warteliste ist lang. Martas Eltern beginnen zu warten….

Teil 3 folgt

7 thoughts

  1. Ich mag deine Art zu schreiben, schön, dass wieder neue Beiträge kommen. 😉
    Eure Erfahrungen mit der Schule kann ich leider sehr gut nachvollziehen… Für uns waren die letzten 1,5 Jahre teilweise sehr schön, weil wir das Homeschooling wirklich sehr genossen haben – klar hat es manchmal mehr, an anderen Tagen weniger Spaß gemacht, aber insgesamt war es sowohl für meine Tochter, als auch für mich viel angenehmer!
    Viele Grüße, Becky

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    1. Vielen Dank! Mir macht es auch gerade wieder sehr viel Spaß zu Schreiben. Ich fand Homeschooling die ersten Wochen auch wirklich schön. Die eins zu eins Betreuung hat den Kindern voll gut getan. Aber danach war gefühlt alles schlimmer als vorher. Keine Ahnung was die anderen Eltern angestellt haben, aber die Kinder waren zehn mal weiter als meine. Liebe Grüße,
      Miriam

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      1. Ich glaube, es ist vor allem extrem, wie unterschiedlich die Kinder und (meist) Mütter damit umgegangen sind. Bei uns war es fast eher das Gegenteil von deiner Erfahrung: Wir hatten quasi null Unterstützung von der Schule / kein Zoom-Unterricht oder ähnliches. Es gab nur alle 1-2 Wochen einen Packen Arbeitsblätter, den wir dann zwischendurch wieder bei der Schule abgeben sollten. Dadurch hat der größte Teil der Kinder wirklich komplett den Anschluss verloren und sie müssen jetzt in der 3. Klasse noch mal mit so Sachen wie 1+8 anfangen. Das finde ich schon extrem.
        Wir haben halt so unser Ding gemacht, waren auch viel draußen, haben kleine Experimente und so etwas zu Hause gemacht. Das hat uns daran sehr gefallen. Allerdings war es extrem schwer und anstrengend, das mit meiner Arbeit zu korrdinieren.
        Viele Grüße, Becky

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  2. Eine Waldorfschule für Martha wäre doch wunderbar 🌟 Unsere 4 Kinder gehen alle auf die Waldorfschule. Eure Martha erinnert mich besonders an meine Tochter, sie spielt Geige, liebt das Theaterspiel ist so phantasievoll und kreativ! Sie ist ein wunderbar, empathisches Mädchen- jetzt in der 12 Klasse und glücklich!! Alle unsere Kinder sind sehr musikalisch und kreativ, für Sie ist die Waldorfschule perfekt 🌻Ich bin Lehrerin, mein Mann Architekt, wir hatten keine Waldorferfahrung! Mich überzeugt die Waldorfpädagogik mit aller Kritik immer wieder!
    Kinder sollen glücklich ihren eigenen Weg gehen!

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    1. Ich wünschte ich könnte das Gelcieh sagen. Ich hab so viel Gutes von der Waldorfschule gehört, auch und insbesondere von der bei uns, da sie einen sehr liberalen Ansatz verfolgt. Viele Klassen sind dort sehr glücklich und ich glaube auch, dass die Kinder sehr selbstbewusst und gestärkt aus der Schule gehen. Bei uns war es leider nicht so. Es steht und fällt dann doch mit den Lehrern, die die Kinder ja ganze acht Jahre sehr eng begleiten und wir waren da ziemlich erschrocken, mit welchen erzieherischen Mitteln dort gearbeitet wurde. Ich bin neidisch auf all die, die mit ihrer Waldorfentscheidung Glück hatten. Liebe Grüße, Miriam

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  3. Liebe Miriam, ich würde es für Eure Martha ausprobieren ☀️ Vielleicht ist es Ihr Weg und auch erlösend für Eure Familie! Unsere Geschichte im deutschen Staatsschulsystem ist ganz ähnlich! Unser Jüngster ist jetzt auch in die 2. Klasse gekommen! Vielleicht können wir ja nochmal lieber mailen?
    Liebe Grüße und einen sonnigen Tag
    Mareike

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