Die Kinder möchten die Glühwürmchen sehen. Sie kommen zwischen Dämmerung und Dunkelheit. Sagt man. Ganz viele, zwischen den Gewächshaus Tunneln und dem Kräutergarten, zwischen Wald und Streuobstwiese. Aber es ist kurz vor elf, Mitsommer Nacht, ein Lagerfeuer prasselt und die Kinder müssen ins Bett. Manchmal fällt der Abschied vom Tag wirklich schwer. Die ganze Welt ist so groß und großartig, es gibt so vieles zu entdecken. Wie soll man da schlafen können?
Sie steigen über das hohe Gras, sagen dem Hund und den Menschen „Gute Nacht“, laufen barfuß vor mir den schmalen Weg zwischen dem hohen Gras entlang. Kein Glühwürmchen zu sehen. Ich hätte es ihnen wirklich gegönnt.
Unser Bus steht vor einem Eichenholz Haus, die Eichen sind direkt aus dem Wald dahinter. Dinge die eine Geschichte haben und sie weitertragen. In dem Haus wohnen vier Parteien, um das Haus herum ein wilder bunter Garten. Überall Blumen, wer sich darum kümmert weiß ich nicht, weiß eigentlich niemand. Der, der Zeit hat und Freude daran. Ein Stück zwischen den Wiesen hoch und es kommen mehr Häuser. Ein Hofladen, ein Gemeinschaftshaus, hinter dem Kräutergarten Bauwagen. Hier wohnen insgesamt 25 Erwachsene und 17 Kinder. Gemeinsam. Aber wie lebt es sich gemeinsam? Wieviel gemeinsam ist gemeinsam und wieviel Platz braucht jeder für sich?
Ich kann mir das tatsächlich nicht vorstellen. Klar, die Vorstellung mit zwei oder drei befreundeten Familien einen Resthof kaufen, vor den Toren Hamburgs leben, im Grünen, Bullerbü Kindheit – das ist eine Vorstellung die ich haben kann. Die gefällt mir, mal mehr mal weniger. Aber in der Realität, wie funktioniert das rein organisatorisch. Was sind die Bedingungen um hier zu leben? Wie ist man organisiert. Wieviel Besitz und wieviel Gemeinschaft gibt es?
Doreen lebt hier seit eineinhalb Jahren. Mit Mann und zwei Kindern. In dem schönen Haus aus Eichen. Vom Kinderzimmer aus sieht man in einen traumhaft verwilderten, grün-bunten Bauerngarten. Sie erzählt mir von einem Treffen, auf dem ein für sie sehr bezeichnender Satz für das Leben in der Kommune gefallen ist. Jemand habe eine der Bewohnerinnen gefragt, ob sie glücklich sei? Und sie habe geantwortet: Ich bin glücklicher als vorher.
Glücklicher als vorher ist eine Entscheidungshilfe, die besagt, es hat eine Verbesserung stattgefunden. Es ist besser als allein zu leben. Seit zehn Jahren gibt es das „Gastwerk“. Teile einer alten Försterei wurden dafür damals angekauft. Die großen Tunnelförmigen Gewächshäuser stehen noch. Einige werden noch genutzt, für Tomaten, Gurken, Auberginen. Die Kinder haben noch nie Gurken an einem Busch gesehen. Sie staunen. Die anderen wurden zweckentfremdet. Platz Dinge unterzustellen, Werkstatt und sogar einen Spieltunnel gibt es. Mit Sand, Trampolin und Fahrzeugen. Ideal für Regentage.
Neben den Menschen leben hier Hunde und Pferde – Arbeitspferde, richtige schwere, freundliche Kaltblüter.
In dem Gemeinschaftshaus wird schon gekocht. „Wer kocht denn?“ frage ich. Die, die Lust haben, sagt Doreen. Wir dürfen am Abend mitessen. Sogar selbstangebautes Gemüse wird schon serviert. Ein Teil zieht sich mit den Tellern in den Garten zurück, die anderen essen drinnen. Im Gras sitzen Menschen an Tischen und essen. Die einen als Familie, die anderen als Mitbewohner. Kinder laufen dazwischen herum und eine Katze. Ich möchte von Doreen wissen, ob sie schon immer davon geträumt habe, das Leben mit anderen gemeinsam zu führen. Ja, sagt sie, sie habe das auch schon mal in Brandenburg gemacht. Aber es habe nicht funktioniert. Sie sei zurück nach Berlin Neukölln gezogen, und jetzt eben hierher. Sie sagt, sie mag gar nicht so gerne Veränderungen. Um so mutiger finde ich es, daß sie es dennoch ein zweites Mal gewagt hat. Ich finde sie wirkt nicht nur zufrieden, sondern auch wahnsinnig reflektiert. Sie redet nicht in Superlativen und auch nicht davon, wie sagenhaft schön und lebenswert es in der Kommune sei. Sondern das es jetzt gerade richtig ist so wie es ist. Und wenn es irgendwann anders ist, dann ist das so.
Überall auf dem Gelände findet man kleine Rückzugsorte. Hier mal eine Hängematte, manchmal Bänke, kleine Spielhäuser, versteckte Sandkisten. Die Kinder spielen sofort nach dem Essen mit den anderen Kindern. Vor dem Kräutergarten bespritzen sie sich mit einem Wasserschlauch. Die Tropfen glitzern in der Sonne.
Familienzeit müsse man sich manchmal ein bißchen erkämpfen, sagt Doreen. Die Kinder sind sehr viel zusammen. Wenn man mal wieder Zeit zu zweit mit seinem Kind haben will, muß man das fordern. In Berlin hatte man immer Zeit zu zweit und mußte sich kümmern, wenn man das Kind verabreden wollte. Hier sei es umgekehrt.
Es gibt sogar eine Tagesmutter auf dem Gelände, direkt neben dem Hofladen. Und einen großen Kühlraum in dem das angebaute Gemüse gelagert wird. Vieles davon wird an Privatpersonen geliefert, die „Grüne Kiste“ des Gastwerks. Ich könnte noch so vieles fragen, aber es ist mindestens genauso schön es einfach wirken zu lassen. Vielleicht ist es der Sommer, der üppig wachsende Kräutergarten, die Schmetterlinge, das Licht, die Wärme und die spielenden Kinder, die hier gerade alles so schön aussehen lassen. Aber vielleicht ist es auch die Idee dahinter, die Gemeinschaft, die Solidarität, das Netz aus Menschen, die sich zusammen gefunden haben. Und damit etwas bieten, was wir schon ganz oft verloren haben. Eine Art Großfamilie, die sich trägt, die unterstützt, aber nicht einmischt, die da ist, aber auch Rückzug bietet. Schade, daß Doreen zu einer mehrwöchigen Fahrradtour aufbricht. Ich wäre gerne noch ein bißchen geblieben.