Ich schaffe es einfach nicht mich aufzuraffen und zurück in die Lüneburger Heide zu fahren. Eigentlich müsste ich. Und mein ganzer Zeit- und Reiseplan gerät durcheinander. Aber irgendwas sträubt sich dagegen. Aber ich will trotzdem los. Und die Kinder und der Hund auch. Nur nicht so weit. So, dass man im Notfall ganz schnell wieder Zuhause ist. Hoffentlich verschwindet dieses doofe Gefühl bald wieder.
Kuhmühlen liegt irgendwo zwischen Hamburg und Bremen. Eigentlich gibt es hier nichts außer einem Mühlenteich. Und Wald. Und ein paar Büffel. Und die Klostermühle. Kuhmühlen ist ein Geheimtipp wie ich sie suche. So klein, dass man eigentlich denkt, darüber zu schreiben lohnt sich nicht. Menschen hierher locken? Wo hier doch nichts passiert. Keine großen Attraktionen. Kein besonderer Wald, sondern einfach ein Wald. Kein besonderer Mühlenteich sondern einfach ein Mühlenteich.
Aber in den Augen meiner Kinder ist dies ein besonderer Wald und ein besonderer Teich und ein besonderer Ort. Reicht das nicht als Argument?
Hier fließt die Oste, dieser bezaubernde naturbelassene kleine Fluss, den ich seit meiner Kindheit liebe. Er schlängelt sich zwischen den ins Wasser hängenden Baumwurzeln durch, vorbei an den saftigen grünen Wiesen im Frühjahr. Hier trifft man niemanden. Nur träge dreinblickende Kühe und Grashüpfer.
Im Winter fehlt das saftige grün der Wiesen, das tiefe grün der Laubbäume. Dafür ist eine dünne Schicht Eis auf dem Weiher. Und ganz am Ende sammeln sich viele Enten und Wasservögel. Im Wald finden wir endlich den lang gesuchten Birkenast. Wir wollen seit Weihnachten eine Lampe bauen nur fehlte uns der passende Ast. Dieser liegt sicher schon seit einem oder zwei Wintern hier auf dem Waldboden. Moos hat ihn überzogen, aber wir sind zuversichtlich, dass wir es mit einer Bürste abbekommen und die typische schwarz-weiße Birkenstruktur wieder freilegen können. Der Ast ist schwer, länger als Emil, aber er trägt ihn ausdauernd.
Auf den Feldern liegt Schnee. Alle außer mir rennen darin herum, so viel Freiheit, so viel Platz. Schade, dass einem diese Freude am rennen so abhanden gekommen ist.
Am nächsten Tag brechen wir – wie ich finde- annähernd pünktlich auf, weil Emil um 15:00 Uhr auf einem Geburtstag in Hamburg eingeladen ist. Reisen und Freunde und Events zu organisieren ist im übrigen extrem zeitaufwändig. Zum Beispiel will Emil auf keinen Fall einen Experimentierkurs im Kindergarten verpassen. Ich muss also ab jetzt alle Reisen so planen, dass wir am Donnerstag wieder für einen Tag in Hamburg sind. Und ich finde das auch durchaus in Ordnung, ja sogar wünschenswert, weil es mich so freut, dass ihm der Experimentierkurs so wichtig ist. Wir trennen uns eben nicht ganz vom Alltag, nur immer mal wieder. Mal kurz oder mal lang. Wir wollen beides, weg sein und da sein, Alltag und Urlaub, Reisen und Ankommen.
Um 14:40 erreiche ich unsere Straße und bete, dass ich einen Parkplatz finde. Da klingelt das Handy. „Kommt Emil noch zum Geburtstag?“ Klar, denke ich. „Der ging schon um halb los. Und alle Kinder stehen hier bereit für die Schatzsuche!“ vernehme ich. Mist. Ich hab noch nicht mal nachgeguckt, wo der Geburtstag ist? Ich dachte, ich hätte noch Zeit! Jetzt ganz schnell parken. Emil hat Angst, dass die Schatzsuche ohne ihn beginnen könne. Scheiß Kurzreisen immer!
Ida ist eingeschlafen. Ich lasse das Handy in den Fußraum fallen und sehe einen Parkplatz. Yippie! Okay, der Wendekreis könnte etwas zu eng sein, aber ich brauche einen Parkplatz! Ganz dringend sogar! „Emil, guckst du bitte ob das passt?“ bitte ich ihn. Ja, ich bitte einen fünfjährigen mich in Parklücken zu lenken und es war klar, dass ich eines Tages die Rache dafür bekommen würde. Ich versuche mich auf vorne zu konzentrieren, Emil guckt hinten und sagt ständig „Passt. Passt. Passt immer noch!“ Ich sehe spontan in den Rückspiegel. Keine zwei Zentimeter trennen mich von dem Auto neben mir. Scheiße. Ich kann nicht mehr rangieren. Ich komme nicht vor und zurück. Vorne bin ich eh schon gegen einen jungen hilflosen Baum gefahren um noch das letzte bisschen Platz auszunutzen. Das Handy klingelt im Fußraum. „Wir gehen dann schon mal los. Wir gehen den Eppendorfer Weg hoch!“ höre ich. Okay. denke ich. Was mache ich jetzt? So oder so kommt das Auto neben mir nie wieder aus der Parklücke heraus. Und ich auch nicht. Und die Schatzsuche beginnt. Und die Schiebetür geht nicht auf, weil ich so dicht neben meinem Nachbarn stehe. Ich könnte heulen. Ich könnte höchsten den baum ganz umfahren. Aber die Äste hängen so tief, dass sie eh schon das Dach vom Fußboden zerkratzt haben. Emil fragt hundert mal, was jetzt mit der Schatzsuche ist. ich würde so gerne mal kurz „Man, jetzt sei doch mal still“ brüllen. Mach ich aber nicht. Ich klettere raus und renne in die Wohnung Idas Buggy holen. Ich wecke sie und das findet sie scheiße und ich will jetzt echt los, weil Emil alles verpasst. Ich versuche sie irgendwie aus dem Bus zu bekommen, aus der Schiebetür geht ja leider nicht. Sie heult und schreit und will ihren Schneeanzug nicht anziehen. Emil redet ohne Unterlass dazwischen. „Wo sind die denn jetzt mit der Schatzsuche?“ „Wieso sind wir zu spät?“ „Wo müssen wir jetzt hin?“
Ida schreit immer noch. Sie weigert sich Schuhe anzuziehen, gut, dann eben nicht. ich bin solo genervt. Ein letzter Blick auf den Parkplatz. Ja, keiner von uns kommt hier je wieder raus ohne nicht das andere Auto zu rammen. Gut gemacht, Miriam!
Ich renne den Eppendorfer Weg hoch. Immer weiter. Man, wo sind die denn? Ich versuche anzurufen aber mein Akku geht grundsätzlich bei Kälte aus. Das Handy sagt nichts mehr. Dafür sagt Emil um so mehr. „Wo sind denn alle?“ „Suchen die den Schatz ohne mich?“ Ich höre eine wahre Kakophonie an Geräuschen. Vorbeifahrende Autos, Idas Geschrei, Emils Dauerbeschallung.
Dann fällt mir auf: Ach, der Eppendorfer Weg geht ja auch noch in die andere Richtung. Wer sagt denn, dass sie so lang gehen? Vielleicht entfernen wir uns gerade von der Schatzsuchergruppe!
Ich rüttele am Handy, versuche es in meiner Handfläche zu wärmen. Ja, warum hab ich eigentlich nicht vorher nach der Adresse geguckt?? Endlich geht es. Ich erfahre, sie sind jetzt am Spielplatz am Kaifu Ufer. Völlig andere Richtung. Ida schreit immer noch. Wir rennen wieder zurück. ich bin schweiß gebadet. Ida hat endlich aufgehört zu heulen, fängt aber wieder an, als sie merkt, dass nur Emil auf dem Geburtstag bleibt. Ich schiebe sie nach Hause und versuche das Geräusch einfach auszublenden.
Kurz vor dem Haus treffe ich einen Freund mit seinem Hund. Jeder in dieser Straße kennt unseren Bus.
„Man,“ grinst er. „Du hast ja echt scheiße geparkt heute!“
Ich winke ihm nur kurz zu gehe ins Haus und heule. Kurztrips? Sind scheiße.
Wunderschöne Eindrücke hast du eingefangen. Und ja, manchmal ist das Leben mit Kindern genau so, sie bringen einem irgendwie bei, dass man sich doch Zeit nehmen sollte
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Achduje, liebe Miriam, du hast mein tiefstes Mitgefühl!
Sobald jemand meine Einparkfähigkeiten kommentiert, drücke ich der Person dankbar den Autoschlüssel in die Hand und bitte sie, das für mich zu arrangieren. Ja, das war auch schonmal jemand aus meiner Straße, den ich nicht näher als vom sehen kannte…
Liebe Grüße, Maja
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