Tag 8: Gelassenheit und Rücksicht!

img_0199-kopieDie Enge im Bus nervt. Ja, sie nervt tierisch! Die Kinder liegen auf dem Hochbett und meinen, man müsse morgens um sechs ein Fenster öffnen. Danach ist das Fenster kaputt und lässt sich nicht mehr schließen. Schlechte Laune vorprogrammiert. Und überhaupt, warum sind wir eigentlich um sechs schon wach?

Ida muss aufs Klo, aber der Hund liegt davor. Ich schiebe den Hund unters Bett, versuche das Klo aus dem Schrank zu ziehen. „Ich muss echt dringend!“ ruft sie. Ich stoße mir den Kopf. Und gegen eine Tasche. Der Inhalt verteilt sich auf dem Boden. Ich kann mich aber nicht bücken um ihn aufzuheben. Zum bücken ist es zu eng. Emil versucht über mich rüber vom Hochbett aus seinen Schrank zu öffnen. Die Tür geht auf, Pullover fallen mir entgegen. „Wartet doch mal!“ rufe ich. Genau. Wartet doch einfach mal. Im Bus funktioniert nur ein Prinzip: Gelassenheit und Rücksicht! Ida pinkelt, Emil versucht über mich rüber zu steigen. Warte doch mal! Denke ich. Ich würde gerne alles was um mich herum steht irgendwo gegen schmeißen. Gelassenheit und Rücksicht.

„Wenn ich sage, wartet, warum wartet ihr dann nicht?“ frage ich verzweifelt.

„Ich musste aber echt dringend!“ sagt Ida.

„Das ist aber auch ein Mädchen-Bus,“ flucht Paul „Überall verheddere ich mich in Lichterketten, und kleinen Körben und Taschen und Kissen!“

Ja, der Bus ist nicht zweckmäßig, sondern schön. Und morgens nerven Lichterketten. Abends hingegen haben wir sie noch nie verflucht. Die Kissen auch nicht. Und außerdem nervt ja auch der Hund, denn der trägt immer so viel Dreck rein! Und Emil tritt den Napf mit dem Futter um. Erst mal Kaffee kochen.

„Ich glaube, ich nehme die Kaffeemaschine mal mit in die Klinik,“ sinniert Paul. „Wie viel Geld ich sparen würde, wenn ich mir jeden Tag einen Kaffee kochen, statt kaufen würde!“

Ganz bestimmt nicht! Die Kaffeemaschine bleibt im Bus. So weit kommt das noch. Ich brauche Kaffee wenn die Kinder immer nur bis sechs Uhr schlafen.

Im Bus läuft das immer wie folgt: zwanzig Minuten hasst man ihn. Und die Enge. Und die Kinder auch ein bisschen. Und den dreckigen Hund sowieso. Dann stolpert man, flucht, stößt sich. Dann stehen die Kinder nur im Weg! Der Hund sowieso! Paul auch. Dann würde man sehr gerne in seiner 25 qm Küche in Hamburg stehen. Sich frei bewegen, Kaffee aus einer italienischen Kaffeemaschine trinken und meditativ aus dem Fenster auf Altbauvillen schauen.

Innerlich kocht man und grummelt vor sich hin.

Zwanzig Minuten später sitzt man am Tisch (oder zumindest in unmittelbarer Nähe), trinkt Kaffee, der schmeckt, obwohl er nicht aus der sündhaft teuren italienischen Kaffeemaschine kommt. Man verteilt guten Käse auf viele kleine Brote und sieht über dem Moor hinter den schmalen Birken die Sonne aufgehen. Und wenn es dann noch etwas schummerig im Bus ist, macht man eine der sonst so nervigen Lichterketten an und eine Kerze und denkt sich: Mein Gott, was ist das schön. Komfortzone verlassen? Kann wunderschön sein.

img_0200-kopieNach dem Frühstück zieht es uns ins Moor. Ich erinnere mich daran, wie es als Kind war. Immer wenn wir im Teufelsmoor waren, hat mein Vater mir die Geschichte mit dem geheimnisvollen Licht erzählt. Wenn der Nebel über das Moor zieht, dann erscheint es in der Ferne. Und die Menschen, die durch das Moor irren, orientierten sich daran. Aber es war dasLiicht des Teufels, und wer ihm folgte, versank für immer in den dunklen Untiefen des finsteren Moores. Immer habe ich im Stillen erwartet das Licht einmal aufblitzen zu sehen. Ich glaube, Emil geht es genauso. Er streift durchs Unterholz und sucht Pfade, aber immer auf der Hut, immer äugt er heimlich nach links und rechts. Dabei hat der Nebel an diesem wunderschönen Tag gar keine Chance gegen die Sonne und den strahlend blauen Himmel. Komfortzone verlassen? Ja, für diesen fantastischen Tag im Moor.

Ich glaube, manchmal vergessen wir auch einfach, wie schön es in der Welt ist. Wir vergessen, wie grandios das Licht ist, wenn die Sonne aufgeht. Wir vergessen, wie schön es ist, stundenlang durch unberührten Schnee zu laufen, auch wenn uns dabei die Zehen frieren. Wir finden es ganz schön in unseren Wohnungen und Häusern, auf unseren Sofas und Kinderzimmern. Mit all dem Spielzeug und dem großen Kühlschrank. Mit der warmen Heizung und dem Internet. Wir merken manchmal gar nicht, wie lange wir das genießen und dabei manchmal vergessen, dass es uns nur einen kleinen Schritt hinaus kostet, um einfach noch mal eine ganz andere Welt zu sehen. Die mindestens genauso so schön ist, aber vielfältiger, abwechslungsreicher, ehrlicher und berührender.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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