Tag 7: Teufelsmoor und Worpswede

Diesmal kommt Paul mit auf unsere Reise. Die Kinder freuen sich tierisch. Eines ist uns allerdings nicht bewusst: Wenn Paul mitkommt sind vier Personen und ein Hund. Ja, das lässt sich leicht ausrechnen, aber in der Praxis bringt es uns manchmal an unsere Grenzen. Ich weiß nicht, wie oft wir in den nächsten beiden Tagen fluchend über den Hund stolpern, uns das Knie, das Schienbein und den Kopf stoßen, merken, dass nicht 4 Teller auf den kleinen Tisch passen, geschweige denn, das jeder einen Sitzplatz in Tischnähe bekommt. Vier sind eben doch einer mehr. Und Winterurlaub hat so seine Tücken. Niemand weicht nach draußen aus, wenn es stürmt und schneit. Und das wird bei dieser Reise der Fall sein.

Ich habe den Entschluss gefasst, die nächsten acht Monate nicht zu arbeiten. Das hört sich sehr luxuriös an. Ist es auch. Ich bin jetzt frei. Und Freiheit hat immer einen Preis, wir müssen nur gewillt sein ihn zu zahlen. Als ich damals begonnen habe dem Blog „Sechs Paar Schuhe“ zu folgen, habe ich mich gefragt: Würde ich für eine Weltreise auch mein Haus verkaufen? All meinen Besitz? Denn die Frage ist ja nicht, ob man bereit wäre, sich von etwas zu trennen, sondern viel mehr, wie man danach wieder neu anfängt? Ich trenne mich ja nicht von Besitz, sondern auch von Sicherheit. Wer weiß, ob ich mir danach jemals wieder ein Haus leisten kann?

Fakt ist, bei allem Ersparten, die „Kleinen Landstreicher“ müssen uns irgendwann auch tragen können. Sonst geben wir nach den ersten Monaten auf. Es ist ein geringes Risiko. Wir kommen zurück in eine warme, große Wohnung, haben ein leeres Konto und fangen wieder an zu arbeiten. Das kann man machen. Das Leben schreit gerade zu danach es zu machen. Wir fallen nicht in ein tiefes Loch. Wir probieren einfach etwas aus, so lange es geht. Vielleicht geht es gut, vielleicht auch nicht. Alles, was wir bis dahin erlebt, gesehen, gefühlt und genossen haben, kann uns niemand wieder wegnehmen.img_0011-kopie

Aus Fehlern lernt man?

Ich mache aber noch Fotos für Freunde, also führt uns unser Weg noch mal zu Fynn Kliemann, der jetzt neben dem Kliemannsland auch noch ein Buch geschrieben hat. Mehr dazu gibt es sicherlich bald, erst mal bricht unser Hund ins Eis ein. Das ist etwas, dass er noch so ganz und gar nicht verstanden hat. Mit großem Schwung aufs Eis hinaus, um dann in der Mitte einzubrechen. Panik, Kälte, Dummheit – armer Pius. Aber wie heißt es doch so schön? Aus Fehlern lernt man. Später werden wir feststellen, diese Weißheit gilt nicht für unseren Hund. Emil und Ida hingegen sind abgeschreckt – und das ist auch ganz gut so.

Der Himmel verfärbt sich grau, wir fahren weiter. Winterurlaub ist ja nicht gleich Winterurlaub. Hier sind keine Berge, kein weißer perfekter Schnee, keine Rodelbahnen und keine Skipisten. Hier ist das platte Land. Norddeutschland. Hier gibt es Wellen und Sturm, Wasser, Möwen und Schneeregen. Und das Moor. Alles auf seine Art wunderschön. Aber im Winter präsentiert sich das Wetter oft grau. Und nasskalt. Und wer dann mit zwei kleinen Kindern den Tag draußen verbringen will, braucht manchmal einiges an Überzeugungskraft.

Auf halber Strecke sehe ich, dass der von uns gewählte Stellplatz im Winter gar nicht geöffnet hat. War ja klar. Die Sache mit den Stellplätzen ist eh gewöhnungsbedürftig. Viele sind einfach angrenzend an Sporthallen, Supermärkte, Schotterplätze. Schön sind sie selten, WCs gibt es hin und wieder, Duschen nicht so häufig. Aber Strom, und ohne Strom sind wir momentan nicht überlebensfähig weil unsere Standheizung manchmal schon nach Minuten den Geist aufgibt. Heute Nacht sollen es Minus 6 Grad werden. Und jetzt?

Ich versuche den Stellplatzbetreiber telefonisch zu erreichen und bin selbst etwas überrascht, dass es klappt. Er sagt, wir sollen vorbei kommen.

Winterreisen in Norddeutschland. Macht das wirklich Sinn?

img_0069-kopieIm Winter reisen hat sehr viel mit Stille und Einsamkeit zu tun. Mit Zeit für sich. Mit lesen, reden, zusammen sitzen und sich aufwärmen. Winterreisen haben manchmal etwas graues, und sind mit Streit verbunden. Wir sind gefangen im Bus. Kaum haben wir den Bus abgestellt, fängt es an zu schneien. Der graue Schnee legt sich lautlos auf unser Dach, auf das grüngelbe Gras und den Kanal vor unserem Fenster. Der Wind zerrt an den Bäumen. Hier ist niemand. Nur wir. Mit Blick aufs Moor und die Hamme, an deren Ufer die Kähne der Torfstecher liegen. Wie lange halten wir es aus, hier drin abzuwarten. Einen Kaffee? Zwei? Der Hund fiebt. Er muss raus. Der kalte Wind weht wenige, dünne Flocken in den Bus. Der Himmel ist tiefgrau. Reisen im Winter muss man sich manchmal schön denken.

In einer kurzen Schneepause treibt es uns ins Moor. Wir sind Mutterseelen allein. Bei einem beherzten Sprung über den Graben bricht der Hund zum zweiten Mal ins Eis ein. Mit Mühe zieht er sich an der steilen Böschung hoch. Aus Fehlern lernen? Denkste. Ida friert und mag nicht laufen. Es ist ein schmaler Grad zwischen Glück und Frustration. Reisen im Winter, macht das wirklich Sinn? Wie viel Kraft kostet es uns manchmal, die Kinder weiter zu motivieren, draußen herum zu stromern, obwohl es kalt und nass und düster ist?

Um 16:00 kommt der Schnee zurück. Dicke, weiße Flocken. Im Bus ist es warm, wir essen Zimtschnecken und trinken heißen Tee. Die Kinder gehen freiwillig wieder raus. Vor dem Bus tollen sie in den Flocken herum. Paul und ich lesen. Wollen wir uns eigentlich etwas beweisen, mit unseren Ausflügen im Winter, oder ist es doch nur einfach schön? Muss man vielleicht auch ein bisschen an sich selbst arbeiten um zu erkennen, wie schön es ist? Fällt es uns manchmal schwer unsere Komfortzone zu verlassen? Welche Vorteile hat es, denn wir den Tag it Kälte und blauen Flecken am Schienbein auf 4 Quadratmetern verbringen?

Viele. Sehr viele.

Am Abend fahren wir nach Worpswede. Der Schnee tanzt jetzt eifrig im Licht der Straßenlaternen. Die Galerien schließen langsam, aber die Kinder laufen von einem beleuchteten Schaufenster zum nächsten, bestaunen Bilder, Skulpturen und Kunsthandwerk. Wir sind die einzigen, die noch durch die verschneiten Gassen ziehen. Pius rennt durch den Schnee als gäb’s kein morgen mehr. Die Kinder rennen ihm nach.

Das Glück liegt vor uns auf der Straße.

Und wir fahren ihm einfach nach.

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